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Pfullinger Geschichten – Die Glocken der Martinskirche

Liebe Pfullingerinnen und Pfullinger,

liebe Leserinnen und Leser,

wohltuend vertraut – seit Weihnachten 2019 können wir sie wieder hören, die Glockenklänge vom Turm unserer Martinskirche. Dass die Glocken nach Monaten des baubedingten Stillstands uns zusammen mit den anderen Glocken der Pfullinger Kirchen wieder durch den Lebensalltag begleiten, darauf haben viele Menschen aller Generationen gewartet. Denn ein Stückchen vertraute Normalität in unserer so unsicheren momentanen Alltagssituation tut uns allen gut.


Das Glockengeläut der Martinskirche geht bis in das frühe 15. Jahrhundert zurück. Die wohl älteste Glocke, die Ave-Maria-Glocke mit einem Gewicht von über zwei Tonnen, stammte aus dem Jahr 1410. Bis etwa zum Jahr 1930 wurden die Glocken noch mittels Seilen geläutet. Danach wurde von der Pfullinger Firma Turmuhren-Walz eine elektrische Läuteanlage eingebaut, seit dem Jahr 1986 steuert ein Computerprogramm das Läutewerk der Glocken. Eine Glocke wird entweder geläutet (geschwungen durch den Antrieb vom Läutewerk her) oder aber mittels Schlagwerk an der Seite der Glocke durch einen Hammer angeschlagen. Alle 15 Minuten werden unterschiedliche Glocken zum Anzeigen der jeweiligen Uhrzeit angeschlagen.


Jede der vier Glocken hat ihre bestimmte Aufgabe und Geschichte:

So läutet die Sonntags- oder Festtagsglocke als größte der vier Glocken samstags den Sonntag ein und begleitet das „Vater unser“ im Gottesdienst. Die Kreuzglocke trägt ihren Namen in Erinnerung an die Geschehnisse am Karfreitag und läutet täglich um 11.00 Uhr in Erinnerung an die hereinbrechende Finsternis am Tag der Kreuzigung Jesu und um 15.00 Uhr (Todesstunde Jesu). In früheren Zeiten war das 11-Uhr-Läuten zusätzlich ein wichtiger Hinweis für die Menschen in und um Pfullingen, von denen viele in der Landwirtschaft auf den Wiesen und Feldern außerhalb arbeiteten, auf die nahende Mittagessenszeit um 12.00 Uhr. Denn nur wenige Menschen trugen damals schon Armbanduhren, viele besaßen – wenn überhaupt – nur eine Taschenuhr, welche dann überwiegend nur an Sonn-, Feier- und Festtagen getragen wurde. Unter der Woche waren die meisten Menschen ohne eigene Uhr unterwegs und orientierten sich viel lieber an den Kirchenglocken. Die Betglocke, die zweitkleinste Glocke, möchte die Menschen zum Gebet und zum Innehalten aufrufen und läutet morgens um 6.00 Uhr und abends um 18.00 Uhr. Die kleine Taufglocke läutet während der Taufhandlung und im Vollgeläut mit den anderen drei Glocken. Sie hat als einzige Glocke der Martinskirche kein seitliches Schlagwerk.


Dabei war es in der Vergangenheit nicht immer gewährleistet, dass die Glocken vom Turm der Martinskirche verlässlich hörbar den Lebensrhythmus in Pfullingen mitbestimmen konnten.


Unfassbar war es für die Kirchengemeinde, als im Jahr 1942 während des Zweiten Weltkrieges die drei großen Glocken der Martinskirche den NS-Machthabern zu Kriegsrüstungszwecken herausgegeben werden mussten. Nur die kleinste der Glocken, die Taufglocke, gegossen im Jahr 1921 bei der Glockengießerei Kurtz in Stuttgart, konnte damals noch im oberen Glockenstuhl des Kirchturms verbleiben und weiter ihren Dienst tun, um so beispielsweise an Sonn- und Feiertagen die Menschen zum Gottesdienst einladen zu können oder bei Beerdigungen zu läuten. Es dauerte rund acht Jahre, bis die Martinskirche wieder ein vollständiges Glockengeläut erhalten sollte. Auch nach dem Ende des Krieges litten die Menschen unter zahlreichen Entbehrungen. Hinzu kam vielfach familiäres Leid durch die Gefallenen, Kriegsopfer und Vermissten. Schmerzlich fehlte auch das volle Glockengeläut der Martinskirche. Doch die Herstellung neuer Glocken würde viel Geld kosten, genauer gesagt 25.000 DM, eine ganz gehörige Summe vor dem Hintergrund der damaligen Währungsreform im Jahr 1948. Zeitzeuge Hermann Heyd, der sich über viele Jahre hinweg mit der Geschichte unserer Martinskirchenglocken befasst hat, berichtet von einer damals überaus erfolgreichen „Pfullinger Haussammlung“, deren Spendenergebnis erst den fachmännischen Guss der drei fehlenden Glocken bei der Glockengießerei Kurtz Anfang des Jahres 1950 möglich machte. Ende März 1950 war es endlich soweit: in einem langen Zug begleiteten viele Menschen den Wagen mit den drei neuen Glocken von der Stadtgrenze über die Marktstraße hinweg bis zur Martinskirche. Dort warteten schon die beiden Zimmereibetriebe Junger und Pfeiffer. Die Mitarbeiter dieser Firmen hatten durch eines der oberen Schalllöcher über den Glockenstühlen einen starken Balken gelegt, um mit einem Flaschenzug eine Glocke nach der anderen hoch in den Kirchturm zu ziehen. Dabei stockte plötzlich so manchem Beobachter im wahrsten Sinne des Wortes fast der Atem: Ein damals 19-jähriger Mitarbeiter eines beteiligten Zimmereibetriebes, ein in späteren Jahren sehr bekannter Bauingenieur, Stadtrat und stellvertretender Bürgermeister, absolvierte auf eben diesem Balken einen perfekten Handstand, in luftiger Höhe über der damaligen Pfullinger Planie, einem Teil des heutigen Marktplatzes, völlig ungesichert, ohne Netz und doppelten Boden! Alle Menschen waren damals nicht nur beeindruckt und erleichtert zugleich, dass der spontane Handstand ohne Unfall endete, sondern auch glücklich darüber, dass nach langer Zeit nun das Glockengeläut der Martinskirche endlich wieder komplett war. Auf zwei Ebenen versehen seit 70 Jahren nun wieder vier Glocken ihren wichtigen Dienst. Dabei ist das gesamte Geläut nach den ersten vier Tönen der Melodie des Chorals „Wachet auf, ruft uns Stimme…“ aufgebaut.


Die Glocken sämtlicher Pfullinger Kirchen begleiten konfessionsübergreifend die Pfullingerinnen und Pfullinger aller Generationen verlässlich und vertraut im Jahreslauf. Vor allem auch jetzt in dieser schwierigen Extremsituation.

Aktuell wurde das tägliche 11-Uhr-Läuten vorübergehend auf 12 Uhr verlegt und soll den Menschen am Mittag ein Tageszeitengebet ermöglichen.

Jetzt an Karfreitag läutet die Kreuzglocke der Martinskirche (wie jeden Tag) um 15 Uhr zur Todesstunde Jesu. Danach schweigen alle Glocken bis zum Ostergeläut. Als Zeichen der Hoffnung und Zuversicht - gerade auch jetzt an Ostern 2020 - läuten dann am Ostersonntag alle Glocken um 10 Uhr mit vollem Geläut. Und zwar nicht nur die Glocken der Martinskirche, sondern die Glocken aller evangelischen und katholischen Kirchen in Pfullingen, Eningen, Lichtenstein und Reutlingen als ökumenisches Zeichen der Verbundenheit.

Seien Sie behütet und bleiben Sie gesund!

In diesem Sinne wünscht Ihnen die Unabhängige Wählervereinigung (UWV) Pfullingen gesegnete und von Hoffnung und Zuversicht geprägte Osterfeiertage

Ihr Martin Fink



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