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Pfullinger Geschichten – Die lange Nachsitzung…

Liebe Pfullingerinnen und Pfullinger, liebe Leserinnen und Leser,

manche von Ihnen kennen den Sitzungssaal im Pfullinger Rathaus. Dort tagen regelmäßig die 22 Stadträtinnen und Stadträte zusammen mit dem Bürgermeister und den Vertretern der Stadtverwaltung. Und wer schon öfters als Besucher die Tätigkeit des Pfullinger Gemeinderats aus der Nähe begleitet hat, weiß, dass Gemeinderatssitzungen mit einem Sitzungsbeginn in der Regel um 17.00 Uhr je nach Tagesordnung durchaus länger dauern können.

Auch wenn das Stadtparlament derzeit krisenbedingt nicht regulär tagen kann, darf immer angenommen werden, dass das Gemeinderatsgremium bestrebt ist, auch im Hinblick auf die anwesenden Zuhörerinnen und Zuhörer, eine Sitzung zeitlich möglichst nicht ausufern zu lassen. Das hat einen ganz praktischen Nebeneffekt: endet eine Sitzung des Gemeinderats oder eines Ausschusses nicht allzu spät am Abend, so bleibt vielleicht anschließend noch Zeit für eine kleine Nachsitzung des Gemeinderats in einer der Pfullinger Gaststätten. Erstens ist das gelebte Wirtschaftsförderung und zweitens können sich die Mitglieder des Gremiums dort außerhalb der Tagesordnung in gemütlicher Runde auch über völlig andere Themen unterhalten. Das ist meist interessant und fördert das gemeinsame Miteinander.

Nachsitzungen finden immer in einem zeitlich überschaubaren Rahmen statt, denn alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer wollen ja noch am gleichen Abend zuhause sein, da am nächsten Morgen auch für die Mitglieder des Gemeinderats wieder der normale Arbeitsalltag ansteht.


Vielleicht werden jetzt manche von Ihnen enttäuscht sein, aber über Gesprächsinhalte aus Nachsitzungen kann und werde ich an dieser Stelle nicht berichten, dafür aber gerne über eine für mich persönlich etwas anders als geplant verlaufene Nachsitzung…

Es war Anfang Dezember 2004 an einem Dienstagabend. 19.30 Uhr – es ist geschafft für heute. Die Tagesordnungspunkte der um 17.00 Uhr begonnenen Ausschuss-Sitzung des Gemeinderats sind diszipliniert und zugleich konzentriert beraten und abgearbeitet worden. Schnell waren sich alle Sitzungsteilnehmer am Ende der Tagesordnung unter Punkt „Sonstiges“ einig: um diese Uhrzeit reicht das noch locker für eine kleine Nachsitzung in einer der umliegenden Gaststätten. Die Gemeinderats-Drucksachen verstauend und den Sitzungssaal verlassend, machen sich fast alle Anwesenden zügig auf den Weg zur Nachsitzung.

Meine ganzen Unterlagen samt selbstverständlich noch ausgeschaltetem Handy kurz an meinem Platz im Sitzungssaal zurücklassend, will ich noch kurz im Rathaus-WC oberhalb des Sitzungssaales meinem natürlichen Blasendruck Erleichterung verschaffen. Das klappt auch ganz wunderbar. Doch als ich die von mir ordnungsgemäß verschlossene Toilettentür nach vorgenommener Entriegelung wieder öffnen will, stelle ich erstaunt fest:

die Schlossfalle, der Schnapper, sitzt nach wie vor im Schließblech. Und zwar bolzenfest. Gleichzeitig lässt sich die Türklinke nur noch im Kreis drehen. Das sieht gar nicht gut aus!

Nach mehrmaligem Probieren, die WC-Tür doch noch aus eigener Kraft öffnen zu können, verbunden mit meinem lauten Rufen, dass vielleicht von außen jemand helfend einschreiten könnte, folgt meine Ernüchterung: die Tür lässt sich absolut nicht öffnen und offensichtlich befindet sich auch niemand mehr im Rathaus II, um auf meine Hilferufe reagieren zu können. Wahrscheinlich befinden sich alle anderen Gremiumsmitglieder bereits in der Nachsitzung. Nur ich sitze bzw. stehe noch in der komplett eingehausten Herren-WC-Kabine, mitten im Innern des Rathauses!

Meine weitere Feststellung: die Tür lässt sich also nicht öffnen, außer meinem Geldbeutel habe ich nur einen Kugelschreiber bei mir, alle anderen persönlichen Dinge liegen unglücklicherweise mitsamt dem ausgeschalteten Handy noch auf meinem Stuhl im Sitzungssaal.

Die WC-Tür selbst ist an zwei Türbeschlägen aufgehängt, in der Trennwand zwischen der Damen-WC-Kabine und der Herren-WC-Kabine ist oben ein schmales Fensterelement aus Sicherheitsglas eingebaut. Da ich mütterlicherseits aus dem ältesten Tübinger Handwerksbetrieb, einer Glaserei, abstamme, ist mir sofort klar: zu versuchen, die Scheibe einzuschlagen, ist hier aus mehrerlei Gründen keine gute Lösung. Deshalb entscheide ich mich, den Clip meines Kugelschreibers als eine Art „Kleinst-Feile“ bzw. „Mini-Stechbeutel“ einzusetzen, um zunächst zu versuchen, den oberen Türbeschlag freizulegen. Ein sehr mühsames Unterfangen, ich weiß, aber gegen 0.45 Uhr am Mittwochmorgen habe ich es endlich geschafft – der obere Beschlag ist freigelegt. So kann ich nun einen Teil des in der Tür eingelassenen Beschlages als etwas größere Werkzeugfeile zum Freilegen des unteren Beschlages verwenden. Das funktioniert zunächst ganz gut, allerdings stoße ich gegen 1.45 Uhr plötzlich auf Widerstand: am unteren Beschlag kommt ein zusätzliches, fest verschraubtes Blech zum Vorschein. Das war es dann wohl mit meinem Ausbruchversuch…


„Ich bleibe ganz ruhig, ja, ich bleibe ganz ruhig“, sage ich mir. Denn mit diesen Worten wird es einem doch beim Autogenen Training auch immer vermittelt. Und ich habe nun wieder genügend Zeit, weiter zu überlegen. Mein erster Gedanke ist: Hoffentlich vermisst mich niemand und kommt beim Anblick meines vor dem Rathaus auf dem Parkstreifen stehenden leeren Autos auf die Idee, die Polizei oder gar die Feuerwehr zu alarmieren, um nach mir zu suchen. Denn das wäre mir ja mehr als peinlich!

Und ja, wenn ich mir die WC-Tür so anschaue: eine abschließbare Tür besteht aus Schlossfalle und Riegel, und so erlebe ich jetzt einmal ganz unverhofft in der Praxis, was es bedeutet, wenn es sprichwörtlich immer heißt, „jemand sitzt hinter Schloss und Riegel…“

Zum Glück kenne ich die Öffnungszeiten des Pfullinger Rathauses und weiß genau, dass der Hausmeister wochentags in der Regel zwischen 6.30 Uhr und 7.00 Uhr seinen Dienst beginnt. Also noch rund fünf Stunden, bis Hilfe kommt. So lange kann ich es bestimmt gut hier aushalten, denn ich kenne keine Platzangst und versuche nun, es mir, so gut es eben geht, in der ziemlich engen Toilettenkabine einigermaßen gemütlich zu machen.


Als stets positiv denkender Mensch sehe ich dabei ganz klar meine momentanen Vorteile: es brennt Licht, es ist schön warm, zur Not hätte ich sogar Wasser zum Trinken aus dem Toiletten-Spülkasten zur Verfügung – und vor allem: ein WC ist gleich in unmittelbarer Nähe, wer hat das schon?

Auf dem geschlossenen Toilettendeckel sitzend, schrecke ich manchmal kurz hoch, denn zwischendurch bin ich wohl immer wieder eingeschlafen, aber so lässt sich die Zeit dann ganz gut überbrücken.

Kurz vor 6.45 Uhr höre ich entfernte Geräusche im Treppenhausbereich des Rathauses und mache sofort durch lautes Rufen auf mich aufmerksam. Sekunden später steht ein hörbar erschrockener Hausmeister im Waschraum vor der nicht zu öffnenden WC-Kabinen-Tür.

Auf seine besorgte Frage hin, was ich denn schon um diese frühe Uhrzeit hier im Rathaus machen würde, antworte ich dem Hausmeister, ich sei noch im Rathaus, und zwar seit gestern um 17.00 Uhr. Nach mehreren erfolglosen Türöffnungsversuchen durch den Hausmeister alarmiert dieser den Schreiner vom Bauhof der Stadt. Mit schwerem Werkzeug ist dann schließlich durch den Fachmann gegen 7.15 Uhr an jenem Mittwochmorgen die defekte WC-Türe geöffnet worden.


Sehr erleichtert habe ich mich gleich bei meinen beiden Rettern bedankt und sie bei nächster Gelegenheit auf eine Tasse Kaffee eingeladen.


Mein dringender Wunsch, dass doch die ganze Rettungsaktion bitte unter uns bleiben möge, ist aus mehreren Gründen leider nicht in Erfüllung gegangen, denn die durch mich in meiner Notlage unfachmännisch bearbeitete WC-Kabinen-Türe musste auf dem Städtischen Bauhof großflächig abgeschliffen, repariert und frisch gestrichen werden und außerdem hat es wohl bislang in der weit über 300-jährigen Geschichte des Pfullinger Rathauses II, dem früheren Kauf- und Kornhausgebäudes, keinen vergleichbaren Vorfall gegeben.

Daher ist im Anschluss an meine erfolgreiche Rettung aus misslicher Lage bei mir damals den ganzen Tag über das Telefon heiß gelaufen. Der Bürgermeister, der Hauptamtsleiter, viele weitere städtische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie alle Kolleginnen und Kollegen aus dem Gemeinderat haben mir damals ihr Bedauern und ihr Mitgefühl ausgedrückt, das hat mich dann schon gefreut und auch berührt.


Eine Woche nach meiner langen Nach(t)sitzung in der Herren-WC-Kabine auf dem Pfullinger Rathaus hat dann traditionell die jährliche Weihnachtsfeier des Gemeinderates und der Verwaltung stattgefunden.

Dort ist die ganze Sache dann vollends öffentlich geworden, zumal die Geschichte mit der längeren Nachsitzung des auf dem Rathaus-WC eingesperrten und buchstäblich in der Falle sitzenden Stadtrates zwischenzeitlich in Pfullingen ohnehin in weiten Teilen die Runde gemacht hat, verbunden mit einer sich anschließenden Berichterstattung in den beiden Tageszeitungen. Aber dazu stehe ich bis heute und habe die ganze Aktion von Anfang an mit einer gehörigen Portion Humor genommen – mit einem Augenzwinkern habe ich damals etwa dem Bürgermeister bei der Weihnachtsfeier symbolisch ein kleines Köfferchen, gefüllt mit Glasschneider, diversen Schraubenziehern, Zangen und anderem Spezialwerkzeug als „Aufbruchs- und Rettungsset für WC-Eingeschlossene“ überreicht.

Gleichzeitig haben alle Beteiligten aus dieser besonderen Nachsitzung gelernt. Seither wird nach allen städtischen Veranstaltungen am Ende stets kontrollierend nachgeschaut, ob auch ja niemand in irgendeinem WC- oder Waschraum-Bereich eingeschlossen ist. Die Mitglieder der Verwaltung und die Gemeinderäte achten bei den Sitzungen des Gemeinderats und der Ausschüsse sehr aufeinander, vor allem dann, wenn jemand nach Verlassen des Sitzungssaales über längere Zeit hinweg nicht mehr in den Sitzungssaal zurückkehrt.

Und ich persönlich gehe seit meiner langen Nachsitzung im Dezember 2004 bei allen Gemeinderats- und Kreistagssitzungen grundsätzlich nie mehr ohne mein Handy auf die Toilette.


Wir sehen: in seltenen Ausnahmefällen können auch Sitzungen auf dem Pfullinger Rathaus einen etwas anderen Verlauf nehmen, wichtig ist nur, dass in jeder Situation immer lösungsorientiert versucht wird, das Beste daraus zu machen…


Namens der UWV Pfullingen wünsche ich Ihnen trotz aller krisenbedingten Schwierigkeiten einen guten Start in den Mai!


Passen Sie auf sich und andere auf – bleiben Sie behütet und gesund!


Ihr Martin Fink


























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